Kunststoffe sind seit vielen Jahrzehnten ein auf der ganzen Welt unverzichtbares Material. Das gilt im Verpackungswesen (speziell dort, wo es auf Wasser- und Luftdichtigkeit sowie Hygiene ankommt) ebenso, wie in der Medizin und verschiedensten technischen Applikationen – beispielsweise, wenn elektrische Ströme zu isolieren sind.
Allerdings haben die allermeisten traditionellen Kunststoffe ein veritables Problem: Sie basieren auf Erdöl und werden durch chemische Umwandlung unter teils hohem Energieaufwand hergestellt. In einer Zeit, in der Nachhaltigkeit zum Schutz von Umwelt und Klima das oberste Gebot ist, befindet sich die Kunststoffbranche deshalb aktuell in einem Prozess der Selbstreflexion und Neuorientierung.
Kunststoffe sind fraglos an vielen Stellen alternativlos. Allerdings müssen gerade deswegen neue Wege beschritten werden, damit die Kunststoffherstellung nicht weiterhin zulasten der Biosphäre erfolgt – zumindest nicht im bisherigen Maß. Ein wichtiger Beitrag dazu sind Maßnahmen, die einen echten Kreislauf sicherstellen, wie er beispielsweise in der Metallproduktion schon seit vielen Jahren besteht.
Bedarf, Kapazität, Stand der Kreislaufwirtschaft: Diese und andere Fakten thematisiert der jährlich erscheinende Berichtsband „Plastics – The Facts“. Da jüngst die Ausgabe für 2022 veröffentlicht wurde, haben wir ihre insgesamt 81 Seiten gesichtet, ausgewertet und Dir die relevantesten Informationen daraus extrahiert und aufbereitet.
Was ist „Plastics – The Facts“ und von wem wird es erstellt?
Bei „Plastics – The Facts“ handelt es sich um eine umfassende Analyse der weltweiten und besonders der europäischen Kunststofffertigung und -entwicklung. Der Bericht liefert Daten und Fakten zu
- Produktion
- Bedarf
- Wandlungsprozessen
- dem Thema Abfall und Nachhaltigkeit sowie
- Umsätzen und anderen Wirtschaftsdaten.
Gültig jeweils für das vorangegangene Jahr. Das heißt, Plastics – The Facts 2022 betrachtet (hauptsächlich) das Jahr 2021 und stellt es den Vorjahren gegenüber. Der Fokus des bereits seit den 2000ern jährlich erscheinenden Werks liegt auf Europa. Allerdings liefert Plastics – The Facts stets ebenso Aus- und Einblicke zum Thema globaler Kunststoff.
Dadurch hat der Berichtsband den Charakter einer umfassenden Analyse der Kunststoffwirtschaft eines Jahres. Er ist zwar auch eine Studie über nachhaltige Verpackungen, aber dennoch deutlich mehr. Wichtig nicht nur als Insight für die Branche selbst, sondern ebenso ein wichtiges Informationsmedium für alle, die für ihre Produkte und Prozesse auf Kunststoffe angewiesen sind oder dieser Industrie zuarbeiten – sowie, last but not least, die politischen Entscheider.
Von zentraler Bedeutung für Richtigkeit der Daten und somit Glaubwürdigkeit der ganzen Studie ist ihre Herkunft: Plastics – The Facts wird traditionell von „Plastics Europe“ erstellt und veröffentlicht. Dabei handelt es sich um den paneuropäischen Verband der Kunststofferzeuger. Genauer: Ein Dachverband für die Kunststoffhersteller in den jeweiligen Ländern.
Erklärtes Ziel: „Die europäische Kunststoffindustrie möchte auch in Zukunft einen wesentlichen Beitrag zum Wohlstand leisten. Unser Ziel: Mit Innovationen Lebensqualität verbessern, Ressourcen effizient nutzen und das Klima schützen. Kunststoffe sind als Werkstoff essenziell für ein nachhaltiges Leben und für das Erreichen der Klimaschutzziele. Ob Windräder, Energiesparhäuser oder E-Mobilität: leistungsfähige Kunststoffe ermöglichen es Ressourcen und CO2 einzusparen. Derzeit arbeiten in der Kunststoffindustrie EU-weit mehr als 1,5 Millionen Menschen in etwa 55.000 Unternehmen." |
Aus diesen Gründen ist Plastics – The Facts zum wichtigsten zeitgenössischen Bericht über den War-, Ist- und Soll-Zustand der paneuropäischen Kunststoffindustrie und ihrer Produkte geworden – und nebenbei den Kurs, den diese so unverzichtbare Branche in den kommenden Jahren steuern wird.
Der 2022er Berichtsband, der, wie gesagt, primär das Jahr 2021 betrachtet, stellt hierbei sogar ein Novum dar – aus zwei Gründen:
- Erstmalig wurden für die Daten der Kunststoffproduktion nur solche Kunststoffe gewertet, die explizit für die Herstellung von Kunststoffteilen, -verpackungen und anderen (End-) Produkten genutzt wurden. Solche Polymere, die etwa nur als Zwischenprodukte in der chemischen Industrie oder für die Herstellung von Kosmetika, Farben oder Klebstoffen zum Einsatz kamen, wurden aus den Zahlen exkludiert.
- Es wurden erstmalig Daten für sogenannte Post-Consumer Recycled Plastics und Bio-Kunststoffe in die Gesamtrechnung integriert. Letzteres sind Kunststoffe, die nicht auf fossilen Ausgangsstoffen fußen, sondern auf biologischen, nachhaltigen Materialien.
Post-Consumer Recycled Plastics (PCR) sind alle Kunststoffe, die nach einer Endverbraucher-Nutzung in einem professionellen Kreislaufsystem recycelt und in diesem Prozess zu neuen Kunststoffprodukten umgewandelt wurden. |
Daten zum Kunststoff weltweit
Wie bereits erwähnt liegt der zentrale Fokus von Plastics – The Facts auf Kunststoffen im europäischen Raum. Allerdings werden Kunststoffe weltweit genutzt, wobei das Thema der Globalisierung eine Rolle spielt. Dementsprechend blickt der Berichtsband in Teilen auch auf den aktuellen Stand in Staaten außerhalb Europas.
Die wichtigsten Fakten aus diesem Kapitel:
- 2021 markierte das Jahr, in dem sich die globale Kunststoffproduktion allmählich von den Störungen der schlimmsten Phasen der Pandemie erholen konnte.
- Insgesamt wurden in diesem Jahr weltweit 390,7 Megatonnen (Mt) Kunststoffe hergestellt. Zum Vergleich: Das entspricht rund 8.233 Exemplaren der „Titanic“ (diese verdrängte bzw. wog etwa 47.454 metrische Tonnen).
- Die Jahresproduktion 2021 bedeutete abermals eine Steigerung gegenüber den Vorjahren: 2020 waren es 375,5 Mt, 2019 wurden 374,8 Mt produziert und 2018 lediglich 365,5 Mt.
- Erneut hatten traditionelle, das heißt, fossil-basierende (= Erdöl) Kunststoffe den mit Abstand größten Anteil daran, nämlich 352,3 Mt.
- Interessant ist jedoch ebenfalls eine Steigerung bei alternativen Kunststoffen: 2021 wurden 32,5 Mt neue Kunststoffe aus zuvor recycelten Altkunststoffen hergestellt (2020: 31,6 Mt). Mit 5,9 Mt konnten Bio-basierte Kunststoffe ebenfalls einen neuen Rekord aufstellen (2020: 3,9 Mt). Das entspricht 8,3 respektive 1,5 Prozent der gesamten Plastikherstellung – wie gesagt, Tendenz steigend.
- Die bedeutendste globale Herstellernation für Kunststoffe war 2021 abermals China. Mit 32 Prozent (2017: 29 Prozent) konnte das Land seine Marktposition weiter ausbauen.
- Anders sah es bei den zweit- und drittplatzieren Regionen aus: Nordamerika behielt mit 18 Prozent seinen 2017er Anteil bei. In Europa hingegen sank der Wert auf 15 Prozent ab – 2017 waren es noch 19 Prozent gewesen.
- Neben China konnten speziell der Nahe Osten und Afrika profitieren. Dort steigerte sich die Produktion von 7 auf 8 Prozent. Eine ähnliche Steigerung gab es in den osteuropäischen GUS-Nationen: Sie stellten 2021 3 Prozent des Weltmarktanteils her und damit 1 Prozent mehr als 2017.
- Die mit Abstand größten Nutzer von Kunststoffen waren auch 2021 die Verpackungshersteller: Ganze 44 Prozent der weltweiten Fertigung wurden nur von dieser Branche verbraucht. Der Zweitplatziere, die Baubranche, benötigte dagegen nur 18 Prozent.
Was die hergestellten Kunststoffarten anbelangt, so belegten Polypropylene mit 19,3 Prozentpunkten den ersten Platz. Es folgten Polyethylene geringer Dichte (PE-LD & PE-LLD) mit 14,4 Prozent, Polyvinylchloride (PVC) mit 12,0 Prozent sowie dichtere Polyethylene (PE-HD & PD-MD) mit 12,5 Prozent. |
Wie bereits aus der globalen Übersicht ersichtlich, hat Europa bei der Kunststoffherstellung in den zurückliegenden Jahren wichtige Marktanteile eingebüßt. Ein markanter Grund dafür ist die hier besonders starke Transformation in Richtung Nachhaltigkeit – zu sehen im weltweiten Vergleich überproportionalen Anteil von recycelten sowie Bio-Kunststoffen.
- Insgesamt fertigte Europa anno 2021 57,2 Megatonnen (Mt) Kunststoffe.
- Auf die zurückliegenden Jahre bezogen war das zwar ein guter, aber kein herausragender Wert. 2020 wurden zwar nur 53,9 Mt produziert, 2019 56,2 Mt, jedoch waren es 2018 immerhin 58,1 Mt.
- Der Anteil fossiler Kunststoffe an der Gesamtproduktion betrug 50,1 Mt, respektive 87,6 Prozent.
- Ein Nachweis für die Entwicklungsanstrengungen auf dem Kontinent sind die Werte alternativer Kunststoffe: 10,1 Prozent oder 5,8 Megatonnen entfielen auf Post-consumer Recycled Plastics. 2,3 Prozent oder 1,3 Megatonnen waren Bio-Kunststoffe. Beides ist hinsichtlich des prozentualen Anteils im weltweiten Vergleich deutlich überrepräsentiert – ein wichtiges Signal.
- Was die Verwendung der Kunststoffe anbelangt, so zeigt sich zwar eine ähnliche Verteilung wie im weltweiten Bild, allerdings trotzdem eine europäische Eigenständigkeit. Zwar stellen Verpackungshersteller hier ebenfalls den Löwenanteil des Bedarfs, allerdings nur mit 39,1 Prozent der Produktion (global 44 Prozent). Zudem verbraucht die Baubranche ebenfalls mehr – 21,3 versus 18 Prozent. Speziell der Verpackungswert zeigt, dass die Maßnahmen, um in Europa weniger „überflüssiges“ Verpackungsplastik zu benötigen, Früchte tragen.
Auch in Europa waren Polypropylene im Jahr 2021 die wichtigsten produzierten traditionellen Kunststoffe – mit 16,6 Prozent Anteil. Danach kamen Polyethylene geringer Dichte (PE-LD & PE-LLD) mit 14,7 Prozent, PVC mit 11,4 Prozent sowie dichtere Polyethylene (PE-HD & PE-MD) mit 9,3 Prozent.
Interessant für den europäischen Markt sind überdies die Zahlen zum Bedarf des hiesigen Kunststoff-verarbeitenden Gewerbes: Das benötigte im Jahr 2021 50,3 Megatonnen Kunststoffe. Das heißt nichts anderes, als dass Europa (wenigstens mengenmäßig) seinen Kunststoffbedarf komplett selbst decken und sogar noch einige Millionen Tonnen exportieren kann (Produktion 57,2 Mt vs. Bedarf 50,3 Mt).
Erneut zeigt sich bei diesen Zahlen zudem die Bedeutung des Industriestandortes Deutschland: Fast ein Viertel (23,2 Prozent) des gesamten Kunststoffbedarfs in Europa entfiel auf deutsche Kunststoff-verarbeitende Unternehmen. Beim Zweitplatzierten, Italien, waren es lediglich 14,3 Prozent.
Was gibt es zu den Marktdaten zu wissen?
- Wirtschaftlich geht es der europäischen Kunststoffwirtschaft gut. Sie erzielte 2021 eine positive Handelsbilanz von 14,4 Milliarden Euro.
- Bei der Produktion steigerten sich sowohl Export (33,2 Mrd. Euro) als auch Import (24,3 Mrd. Euro), jedoch sank der Exportüberschuss von 9,3 auf 9 Milliarden Euro.
- Ähnliches bei der Kunststoffverarbeitung: Export (39,2 Mrd. Euro), Import (33,8 Mrd. Euro) bedeuteten eine Steigerung, jedoch folgte der sinkende Exportüberschuss von 5,4 Milliarden Euro dem langjährigen Trend.
- Die wichtigsten Handelspartner für Europa bei der Plastikherstellung waren für Importe die USA (18,4 Prozent) und Exporte Großbritannien (14,5 Prozent).
- Bei der Plastikverarbeitung war die wichtigste Importnation China (35,8 Prozent) und in Sachen Export ebenfalls Großbritannien.
Wie ist Europas Kunststoffindustrie in Sachen Nachhaltigkeit aufgestellt?
Kurzgesagt: auf einem sehr guten Weg. Das ist schon an den Zahlen für recycelte und Bio-Kunststoffe zu sehen. Ferner:
- 2020 wurden lediglich 23 Prozent aller Kunststoffe auf Deponien entsorgt. 42 Prozent wurden in Energie umgewandelt und beachtliche 35 Prozent recycelt.
- Speziell bei Kunststoffverpackungen sind die Werte noch besser: 46 Prozent werden recycelt, 37 Prozent verstromt und lediglich 17 Prozent enddeponiert. Das bedeutet eine Recycling-Steigerung von 9,5 Prozent seit 2018. Zwischen 2006 und 2020 konnte sich die Recyclingrate sogar um beeindruckende 110 Prozent steigern.
- Bei den Recyclingraten sind die Niederlande (45 Prozent), Norwegen (44 Prozent), Spanien (43 Prozent) und Deutschland (42 Prozent) die Spitzenreiter der EU. Schlusslichter, was die Deponieentsorgung betrifft, sind Malta (75 Prozent), Griechenland (73 Prozent) und Zypern (71 Prozent).
Fazit: Ein Ausblick auf die Zukunft des europäischen Kunststoffs
Statt eines herkömmlichen Fazits möchten wir Dir auf diesen Zeilen verraten, welche Schlussfolgerungen Plastics – The Facts 2022 für die Zukunft zieht.
Hier zeigt sich vor allem Besorgnis aufgrund des Ukraine-Krieges und der damit einhergehenden Unsicherheiten für die Energieversorgung und Logistik. Die Industrie ist deshalb besorgt, die gute Erholung von der Pandemie ab 2021 könnte durch ein zukünftiges Absinken zunichte gemacht werden. Für das Jahr 2022 rechnet die Studie deshalb mit einem Rückgang des Wachstums um 4 Prozent.
Positiv sind allerdings die Ausblicke auf die Klima- und Umweltbilanz: Überall in Europa wird immer stärker recycelt, werden recycelte und alternative Kunststoffe mehr und mehr herangezogen. Dadurch kann die hiesige Branche definitiv auf gute Ausgangschancen hoffen – schließlich nimmt das Thema derzeit weltweit starkes Tempo auf.
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